Es gibt ja derzeit viel Geschrei um einen vermeintlichen „Putsch“ bei der Wahl des Kreisvorstands der Spandauer Grünen am 07.02.2015. Da ich bei der Sitzung anwesend war und auch ein durchaus interessierter Bürger bin, möchte ich mal meine zwei Cent dazu in den Hut werfen.
Unter § 5 Rechte und Pflichten der Mitglieder steht in der Satzung der Berliner GRÜNEN (unter anderem):
„Jedes Mitglied hat Stimmrecht in einer selbst zu wählenden Bezirksgruppe, Abteilung oder innerparteilichen Vereinigung.“
Das mag zunächst seltsam anmuten, da man es ja eher so kennt, dass man in „seinem“ Bezirksverband das Stimmrecht hat. Es macht jedoch durchaus Sinn, wenn man sich die Strukturen bzw. Gliederungen der GRÜNEN anschaut.
Dort gibt es nämlich – neben den „üblichen“ Bezirksgruppen – auch Abteilungen, Landesarbeitsgemeinschaften und innerparteiliche Vereinigungen. Diese dienen u.a. dazu, um landesweit ein bestimmtes politisches Thema zu beackern oder sich einfach bezirksübergreifend zu koordinieren und gemeinsam zu arbeiten (es gibt weitere Unterschiede zwischen ihnen, aber diese tun hier nichts zur Sache). Eine Abteilung oder Landesarbeitsgemeinschaft muss vom Landesverband anerkannt werden, um nach Satzung „gültig“ zu sein.
Ein Mitglied kann bzw. muss sich nun entscheiden, wo es sein Stimmrecht ausüben möchte, das leuchtet ein.
Ein weiterer Absatz in der Satzung lautet dazu passend:
„Der Wechsel der Wahrnehmung des Stimmrechts in eine andere Bezirksgruppe, Abteilung oder innerparteiliche Vereinigung ist vier Wochen nach der Mitteilung an den Landesvorstand wirksam.“
Im vorliegenden Fall der Spandauer Vorstandswahlen haben nun also – laut Medien – 14 Menschen von diesem Wechsel-Recht Gebrauch gemacht. Auf Facebook hat sich mindestens ein „Wechsler“ bereits dahingehend geäußert, dass er – obwohl Spandauer – seit Jahren sein Stimmrecht außerhalb des Bezirks wahrgenommen hat, weil er mit den hiesigen Verhältnissen nicht einverstanden war. Ich wüsste nun nicht, was ethisch dagegen spricht, dass dieses Mitglied sein Stimmrecht wieder in den Bezirk verschiebt, um die für ihn misslichen Verhältnisse zu verändern.
Auf wie viele der „Wechsler“ diese Option zutrifft, ist unbekannt aber letztlich auch müßig zu ermitteln. Dass es im Laufe von Jahrzehnten unterschiedliche Ansichten bzgl. der politischen Ausrichtung der GAL gab, dürfte jedem Politikinteressierten bekannt sein. Dass dadurch die Unzufriedenen in andere Gliederungen „abgewandert“ sind, hörte man auch nicht zum ersten mal, ich selbst kenne eine handvoll persönlich. Nun sind diese eben zurückgewandert, um das alte System zu verändern. Sollten unter diesen Wechslern auch welche sein, welche nur aus strategischem Kalkül gewechselt sind ohne echtes „Spandau-Interesse“, könnte man das moralisch verurteilen.
So etwas kommt zwar bei allen Parteien vor (in unterschiedlichen Ausprägungen auf Basis unterschiedlicher Satzungen), aber es gehört sich eben nicht, weil es die Basis, die Demokratie und die Basis-Demokratie unterwandert.
Bleibt noch anzumerken, dass der Effekt von „Pseudo-Wechslern“ die Machtverhältnisse im Laufe der Zeit wieder kippen würde, denn die Mehrheiten waren höchst knapp, eigentlich wirklich nur um eine Stimme. Sollten die „unmoralischen Wechsler“ – wie behauptet – „bald wieder weg“ sein, hätte der bisherige Flügel recht schnell wieder das Heft in der Hand.
Ich denke, das sollte man beobachten und kann es vielleicht als Gradmesser der ethischen Qualität der Vorstandswahl bemühen.
Zwei Aspekte möchte ich noch beleuchten. Zum einen bedeutet die bestehende Regelung der GRÜNEN, dass es Mitgliedern des kompletten Landesverbandes möglich ist, auf Bezirksgliederungen deutlichen Einfluss zu nehmen. Sollte ein Bezirk also nicht so agieren, wie es die Mehrheit der Mitglieder des Landes wünscht, geht man rein und wählt einen genehmen Vorstand. Ich sage das völlig ohne Wertung, denn ich kann mir durchaus Fälle vorstellen, bei denen das etwas Gutes ist oder auch im Gegenteil negative Auswirkungen haben könnte. Übrigens, das mit „der Mehrheit der Mitglieder des Landes“ stimmt nicht mal. Jede beliebige und ausreichend große Gruppe kann damit entscheiden, wer in einem Bezirk Vorstand ist. Im „Fall Spandau“ hätten ca. 20 Personen ausgereicht.
Der andere Aspekt ist, dass es die GRÜNEN in Berlin offenbar genau so wollen. Ich unterstelle mal, die Satzung wurde nicht erst gestern aufgestellt. Ich unterstelle auch, dass das aktuelle Problem nicht zum ersten Mal aufgetreten ist. Offenbar hat sich bisher keine Mehrheit gefunden, diese Regelung zu modifizieren. Sollten hier erfahrene GRÜNE mitlesen, würde es mich sehr interessieren, ob es in der Vergangenheit Anläufe zur Veränderung dieser Regelung gab.
Update 12.02.2016
Ich bekam einen Hinweis auf die Bundes-Satzung der GRÜNEN, die wohl – im Zweifelsfalle – über der Landes-Satzung stünde. Dort findet sich unter „§ 4 AUFNAHME VON MITGLIEDERN“:
„(1) Über die Aufnahme entscheidet der Vorstand des für den Wohnsitz zuständigen Gebietsverbands der jeweils untersten Ebene auf schriftlichen Antrag des/der Bewerber*in. Gegen die Zurückweisung eines Aufnahmeantrages kann der/die Bewerber*in bei der zuständigen Mitglieder- bzw.
(2) Delegiert*innenversammlung Einspruch einlegen, die mit einfacher Mehrheit entscheidet.“
OK, das spräche dafür, dass doch der Vorstand eines Ortsverbandes (sofern dieser als ein „Gebietsverband“ zählt) über Neu-Mitglieder bzw. Wechsler entscheiden darf (das mit den Wechslern steht an anderer Stelle in der Bundessatzung, wird aber gleichbehandelt). Diese Sichtweise wird bestätigt durch einen Passus in der Landes-Satzung unter „§ 3 AUFNAHME VON MITGLIEDERN“ , den ich vorher nicht entdeckt hatte:
„(1) Der Antrag auf Aufnahme erfolgt durch schriftliche Erklärung. Will der/die Bewerber*in das Stimmrecht in einem Kreisverband wahrnehmen, entscheidet der Bezirksvorstand über die Aufnahme. Der Bezirksverband kann die Zuständigkeit an den Landesvorstand delegieren. „
Diese beiden Passagen sprächen also dafür, dass nicht der Landesvorstand sondern der Bezirksvorstand über die Aufnahme und den Wechsel neuer Mitglieder zu entscheiden hätte.
Beide Seiten scheinen sich jedoch – nach jeweils eigenen Aussagen – auch darüber einig zu sein, dass das Landesschiedsgericht nachträglich festgestellt hat, das zum fraglichen Zeitpunkt im Kreisverband Spandau kein gültiger Bezirksvorstand existiert hat. Die Argumentation des Landesvorstandes wird also vermutlich so lauten, dass er selbst entscheiden musste, da er von einem nicht existierenden Bezirksvorstand ausging. Pikant dabei ist wohl, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung bzgl. der Mitgliederwechsel/Eintritte das Schiedsgerichtsurteil noch nicht gesprochen war.
Lange Rede, kurzer Sinn, es ist ausreichend Komplikations- und Konflikt-Potential vorhanden, um den GRÜNEN Kreisverband Spandau noch bis zu den BVV-Wahlen im September fortlaufend in der Presse zu halten. Wir werden sehen, ob GRÜNS pfiffig genug sind, dieses Potential nicht auszuschöpfen …
Emilio Paolini
Presse dazu
- B.Z.: So lief der Grünen-Putsch in Spandau ab
- Tagesspiegel: Wieder Streit um Vorstandswahl bei Spandaus Grünen
- Morgenpost: Neuer Machtkampf bei den Spandauer Grünen
- Morgenpost:Grüne streiten über Spandauer Sonderweg
- Spandauer Volksblatt:„Putsch“ bei den Grünen: Neue Mitglieder kippen Mehrheitsverhältnis bei Vorstandswahl
- Spandauer Volksblatt: Zusammenarbeit mangelhaft: Vorstand der Spandauer Grünen tritt zurück
- B.Z.:Rudolf Königer ist der Notvorstand der Spandauer Grünen
- GPS:Vorstandswahl der Spandauer Grünen ungültig: Landesschiedsgericht bestellt Notvorstand
- Tagesspiegel:Landespartei kippt Vorstandswahl
- Spandauer Stadtjournal: Notvorstand leitet Spandauer GAL
- taz: Im Westen geht der Spaltpilz um (aus 2013)